08.06.2022 | Porträts und Geschichten

Eisenmann mit Kurs aufs Klassenzimmer

Student in Kassel, Extremsportler auf Hawaii

Das Startsignal ertönt: Hunderte Menschen schwimmen dicht gedrängt los. Jeder versucht sich von den anderen abzusetzen. Nach 3,8 Kilometern ist die erste Etappe geschafft. Statt sich auszuruhen, schwingen sich alle reihenweise aufs Rad. Bei tropischen Temperaturen von 40 Grad geht es 180 Kilometer über die Insellandschaft Hawaiis. Zum Schluss wird gelaufen. Nach einem Marathon von rund 42 Kilometern erreichen die Sportler das Ziel des sogenannten Ironman. Über 226 km legen sie zurück, ungefähr die Strecke von Kassel nach Mainz. Damit gilt er als einer der härtesten Wettkämpfe der Welt und ist der große Höhepunkt für Spitzen-Triathleten. 

Einer von ihnen ist der Lehramtsstudent Tim Bluhm. Sitzt er nicht im Hörsaal, trainiert er für sein großes Ziel. „Die Begeisterung für den Triathlon kam recht früh bei mir. Ich habe es auch mal mit Mannschaftssportarten versucht und beispielsweise Fußball gespielt. Da konnte ich noch Niederlagen immer auf andere schieben, was jetzt nicht geht. Stimmt die Zeit nicht, liegt der Fehler bei mir. So kam ich zunächst zum Marathon, probierte mich schließlich an einem kleinen Triathlon und war gleich angefixt.“ 

Seinen Anfang nahm der Ironman 1978 auf Hawaii am Rande der Siegerehrung des Team-Staffellaufs „Oahu Perimeter Relay Run“. Einige Teilnehmer diskutierten, welche Sportler die fittesten seien. Sind es Schwimmer, Läufer oder doch Radfahrer? Um diese Frage zu klären, schlug einer der Anwesenden einen Wettkampf vor. Drei bereits auf Hawaii bestehende Rennen sollten kombiniert werden: Der „Waikiki Roughwater Swim“, das „Around-Oahu Bike Race“ und der „Honolulu-Marathon“ – damit war der Ironman geboren. 15 Männer traten zum ersten Durchlauf an, 12 erreichten die Ziellinie.  

„Es ist wie eine Droge, einmal angefangen, kann man nicht mehr aufhören“, erläutert Bluhm voller Begeisterung. „Ich liebe die Bewegung und es ist toll, etwas zu machen, was nicht jeder kann. Oft ist es schwer und immer harte Arbeit. Aber dieses Gefühl, stets besser zu werden, ist die Belohnung.“ So qualifizierte sich der 25-Jährige 2021 beim Ironman Frankfurt für die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii. 

Dafür trainiert er 15-20 Stunden die Woche und schwimmt, läuft, fährt Rad und geht ins UniFit, das Fitnessstudio der Universität. „Nach drei Wochen gönne ich mir dann etwas Ruhe mit nur zehn Stunden Training die Woche“, ergänzt Bluhm mit einem leichten Lächeln. „Das Schönste am Sport ist aber, dass ich mir aussuchen kann, welche Einheit ich an welchem Tag trainiere. Ist mir mehr nach Schwimmen, mache ich das, will ich lieber laufen, ist halt das dran.“ 

Parallel dazu belegt Bluhm die Fächer Geschichte, Chemie und Sport an der Uni. „Negativ wirkt sich das Training nicht auf mein Studium aus. Klar brauche ich ein paar Semester länger als vorgesehen. Aber dafür bekomme ich auch einen schönen Ausgleich.“ Nach der Vorlesung mit Kommilitonen eine Bar aufsuchen gestaltet sich jedoch schwierig. „Einfach mal mit Freunden abhängen und ein Bier trinken kann ich nicht. Ich merke das immer am Geburtstag meines besten Freundes im Juli, der Haupttrainingszeit. Teilweise wird man irritiert angeguckt, weil man nichts trinkt und nicht bis zum Schluss bleibt. Aber dieses Leben habe ich mir selbst ausgesucht. Es ist leider ein sehr egoistischer Sport.“ 

Trotzdem ist Bluhm nicht allein. „Ich könnte das alles nicht schaffen ohne Hilfe. Meine Mutter ist Physiotherapeutin und unterstützt mich gemeinsam mit meinem Trainer. Auf Wettkämpfen und besonders im Training unterstützt mich meine Freundin. Während des Ironmans auf Hawaii begleitet sie mich – anschließend entspannen wir ein paar Tage unter Palmen.“

 

Dennis Müller
Dieser Text ist aus der publik 2/2022 vom 14. Juni 2022