Vom wilden Tier zum Familienmitglied: Prof. Dr. Mieke Roscher erforscht die Geschichte des Mensch-Hund-Verhältnisses.
Zur Zeit schreibt sie an einer politischen Tiergeschichte des „Dritten Reiches“; aber auch zum Verständnis anderer Epochen könnten die Human-Animal-Studies einen Beitrag leisten, so Roscher.
Vom wilden Tier zum Familienmitglied: „Seit ungefähr 16.000 Jahren teilen sich Mensch und Hund Haus und Hof, Spiel und Tod, Nahrung und Gesellschaft. Mensch und Tier haben sich gemeinsam weiterentwickelt“, sagt Roscher. Jagd- und Wachhunde ermöglichten den Menschen der Frühzeit neue Formen der Nahrungsbeschaffung und des Zusammenlebens. Der Pastoralismus etwa – eine Ökonomie, bei der Menschen der Vorzeit großen Herden von nicht-domestizierten Tieren folgten – habe sich durch eine Art Arbeitsteilung zwischen Mensch und Haushund entwickelt. „Dabei wurde der Hund im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende von einem Nutztier, das auch als Gefährte gehalten wurde, immer mehr zu einem Gefährten, der auch bestimmte Nutzen erfüllt, und letztlich auch zu einem Familienmitglied.“ Der häufig geäußerten These, Hunde würden oft wie Menschen behandelt, widerspricht Roscher aber: Eher würden die Tiere überhöht zu perfekten Wesen.
Hunde als Gegenüber: Die Beliebtheit des Hundes als Begleiter des Menschen liegt auch darin, dass Menschen Eigenschaften in ihm sehen, die sie in Mitmenschen suchen – oder in sich selber. Ein Hund kann Treue, Kameradschaft, Kraft oder Mitgefühl verkörpern (freilich auch negative Begriffe wie Gewalt und Furcht). Weil die eine Hunderasse mehr diese, die andere eher jene Eigenschaft repräsentiert, suchten sich manche Menschen eher einen Golden Retriever als Begleiter, andere einen Mops, erläutert Roscher: „Über die Jahre haben sich auch deswegen viele verschiedene Arten von Hunden entwickelt.“
Hunde als Accessoire: Die sich immer weiter ausdifferenzierende Hundezucht ist das Ergebnis einer Gesellschaft, die im Überfluss lebt, betont die Historikerin. Seien Nutztiere zunächst nur gezüchtet worden, um sie nahrhafter oder widerstandsfähiger zu machen, geht es bei der Hundezucht seit Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend darum, mit neuen Rassen die Idealvorstellungen von Haltern zu bedienen, die sich damit schmückten. Die „Qualzucht“ sei daher ein westliches Problem einer hoch kapitalistischen Gesellschaft mit ihrem immer stärker werdenden Drang nach Individualisierung.
Hunde in der NS-Zeit: Anfang der 1930er Jahre wurden die Vorzüge einzelner Hundearten explizit hervorgehoben, während Mischlinge als Bastarde galten. Die gleichgeschalteten Rassezuchtvereine führten Experimente an Hunden durch, um die Überlegenheit bestimmter Rassen zu belegen – andere Tierarten wurden nicht im selben Maße auf „rassische“ Unterschiede untersucht. Von Oktober 1939 an seien alle Hunde gemustert und bestimmte Rassen, wie beispielsweise der deutsche Schäferhund oder der Dobermann, für die Front rekrutiert worden. „Ab 1942 wurden auch Mischlinge an die Front geschickt, insgesamt sind während des Zweiten Weltkrieges mindestens 100.000 Hunde an der Front gestorben. Den Nationalsozialisten war der zum Kameraden stilisierte Freund und treue Begleiter letztlich auch nur Material“, so die Historikerin.
In ihrer weiteren Forschung plant Roscher unter anderem zu untersuchen, welchen Einfluss Propaganda auf die Behandlung von Tieren hatte, sowie die entstandenen Modelle der politischen Tiergeschichte auf andere Epochen zu übertragen. Zudem will sie das Verhältnis von Menschen zu anderen Nutztieren und zu wilden Tieren betrachten.