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Wie stellt man den Suizid aus? Podcast zur Ausstellung "Let's talk about it"
Wir sprachen mit Prof. Dr. Reinhard Lindner (Theorie, Empirie und Methoden der Sozialen Therapie, im Bild rechts), mit Dr. Dirk Pörschmann, dem Leiter des Museums, und der Kuratorin Tatjana Ahle über die Herausforderungen einer solchen Ausstellung, über besondere Exponate und die Frage, wann diese Ausstellung gelungen ist.
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Mehr zur Ausstellung:
- Die Pressemitteilung vom 1. 9. 2021 finden Sie hier.
- Die Ausstellungswebsite finden Sie hier.
Transkript des Podcast
„Let´s talk about it!“ So heißt eine Ausstellung im Museum für Sepulkralkultur in Kassel, die am 10. September beginnt. Gemeint ist der Suizid, also: Lasst uns über den Suizid sprechen. Willkommen liebe Hörerinnen und Hörer, zu einem Podcast über ein schwieriges und besonderes Thema.
Reden über Suizid, darf man das überhaupt und wenn ja, wie? Wir fragen Dr. Dirk Pörschmann, den Leiter des Museums, Tatjana Ahle, die Kuratorin der Ausstellung, und Prof. Dr. Reinhard Lindner. Er hat eine Professur für soziale Therapie an der Universität Kassel, leitet das Nationale Suizidpräventionsprogramm in Deutschland und er hat die Ausstellung wissenschaftlich vorbereitet.
Herr Professor Lindner, Medien berichten in der Regel nicht über Suizide um keine Nachahmung zu provozieren. Sie als Forscher sagen aber, es sei gerade besonders wichtig, über das Thema Suizid zu sprechen und das sogar in einer musealen Ausstellung?
Lindner: Ja, es ist eine sehr gute Möglichkeit, auf ein Tabu zu sprechen zu kommen. Dieses Tabu Suizid ist in unserer Gesellschaft und bedeutet, dass Menschen die Suizide begehen wollen oder darüber nachdenken, keine Möglichkeit finden, ein Gespräch, eine Ansprache, ein Miteinandersein zu erreichen, und diese Ausstellung wiederum ist eine Möglichkeit des Gespräches über dieses tabuisierte Thema.
Herr Pörschmann, wie stellt man den Suizid denn aus, wenn man etwas mehr bieten will als ein Abriss der Kulturgeschichte des Selbstmordes?
Pörschmann: Darüber haben wir lange diskutiert. Wenn man klassisch museal arbeiten würde, müsste man hier einen Revolver, einen Strick, die Schnauze eines ICEs ausstellen. Genau das wollen wir ja nicht. Sondern wir wollen informieren, wir wollen den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit geben, sich sehr breit zu dem Thema, zu Suizid, Suizidalität, zu Suizid-Prävention zu informieren, das ist das eine wichtige Standbein diese Ausstellung. Aber es wird nicht nur darum gehen, hier dieses Wissen zu vermitteln, dazu haben wir auch einen dicken Katalog mit 360 Seiten, da kann man sich intensiv einlesen; sondern den Besucherinnen und Besuchern auch ein Erleben zu ermöglichen, wie es ein Besuch im Museum auch sein sollte. So haben wir Kunstwerke gefunden, die bei der Betrachtung die Menschen in die Lage versetzen können – wenn sie sich darauf einlassen – zu verstehen, was das bedeutet oder bedeuten kann, suizidal zu sein, jemanden zu verlieren als Angehöriger. Wir haben diese beiden Ebenen. Das eine ist die Wissensvermittlung, die ganz zentral ist, und das andere sind Kunstwerke, die dann jeweils Assoziationsräume eröffnen, damit da auch nochmal verarbeitet werden kann und auf eine andere Weise ein Zugang geschaffen wird.
Können Sie das am Beispiel eines Ausstellungsobjekts oder einer Station hier in der Ausstellung erläutern, welche Denkanstöße einen erwarten, wenn man in Ihre Ausstellung hier kommt?
Pörschmann: Wir werden zum Beispiel eine Arbeit von Nicola Torke zeigen. Das ist eine Installation aus ursprünglich neun Kegeln, aus Keramik, aus Porzellan, und diese neun Kegel sind in einem Raster aufgehängt, ganz fragil. Die wurden schon mal in einer Ausstellung in Hamburg gezeigt, damals auch von Herrn Lindner mitorganisiert – und damals ging einer dieser Kegel kaputt. So sind es nur noch acht von neun, und das Fragile, das sich eben in dieser Arbeit zeigt, in diesen Kollektiven - denn es ist nicht ein Kegel, sondern es waren mal neun, jetzt sind es noch acht - ist ein Stück weit auch ein Bild für die Gesellschaft. Für das Fragile, für das Leben, am Faden hängen wir, wir wissen nicht, wann er reist, und dadurch, dass jetzt tatsächlich auch diese Leerstelle entstanden ist, durch dieses Ereignis in Hamburg, bei der Ausstellung, kommt nochmals eine andere Bedeutungsebene hinzu, die sich dann direkt vermitteln kann. Ich will da auch gar nicht zu weit interpretieren und vorgreifen, weil das ist ja das Gute und Besondere bei der freien Kunst, dass sie jedem ganz direkt mit dem, was er mitbringt, ein Assoziationsfeld bietet, das dann Auseinandersetzung ermöglicht, und im besten Fall eine ästhetische Erfahrung, die dann auch zu einer Erkenntnis führt.
Frau Ahle, als Kuratorin können Sie vielleicht noch ein zweites Beispiel nennen, für ein Objekt, das vielleicht noch mal einen anderen Aspekt beleuchtet oder den Besucherinnen und Besuchern vielleicht auch nochmal einen anderen Anstoß vermittelt?
Ahle: Wir haben noch ein weiteres Objekt, das etwas anders ist als die Kegel von Nicola Torke, das nämlich einen sehr individuellen, persönlichen und unmittelbaren Bezug auch für die Besucher/innen erschließbar herstellt. Nämlich eine Arbeit einer Photographin aus den USA, Donna J. Wan, die selbst im Wochenbett an einer Postnatalen Depression gelitten hat, diese aber dann überwunden hat und vorab in ihrer Phantasie immer wieder die Orte aufgesucht hat und die Methoden exerziert hat, mit denen sie sich das Leben hätte nehmen wollen. Nämlich den Sturz aus der Höhe, zum Bespiel von einer Brücke, einer Klippe. Die Orte, die sie während ihrer Suizidalität im Geist aufgesucht hat, die hat sie dann, nachdem sie diese Phase überwunden oder überlebt hat, auch in Person aufgesucht, mit einer Kamera, aber mit einem anderen Ziel, nämlich nicht mehr sich hinabzustürzen, sondern diese Orte photographisch festzuhalten. Den Blick, den sie im Geiste eingenommen hat, noch einmal photographisch durchzuexerzieren und so auch eine Distanz zu diesen Vorstellungen von früher zu schaffen und dann den Blick eben wieder auf das Leben zu richten.
Herr Lindner, Sie haben die Ausstellungsmacher beraten. Was war da Ihr wichtigster Hinweis, was muss man beachten, wenn man so eine Ausstellung macht?
Lindner: Bei dieser Ausstellung war sicher das Wichtigste – wie wir es jetzt auch schon gehört haben – das emotionale Erleben in den Blick zu bekommen, das Menschen haben, die als Besucher in dieses Museum kommen. Wir wollen informieren, wir wollen auch eine Reihe von sehr sachlichen Informationen anbieten, aber wir wollen eben darüber hinaus auch eine Möglichkeit bieten, sich als Person auseinanderzusetzen mit der Frage: Wie fühlt sich ein Mensch, der suizidal ist? Mit der Frage: Wie fühlt sich ein Mensch, der einen nahen Menschen durch den Suizid verloren hat oder der weiß, dass ein naher Mensch Suizid begehen wird oder kann? Und wie fühlt sich eigentlich die Gesellschaft mit dem Thema Suizid und Suizidalität? Was tun wir eigentlich als Gesellschaft mit dieser Frage, dass es Menschen gibt, die es so schwer haben mit dem Leben, dass sie sich keine andere Situation vorstellen können, als selbst aus dem Leben zu gehen?
Sie haben im Vorgespräch gesagt, es gibt auch studentische Teams oder Studierende, die hier vor Ort sind. Das Ganze hatte ohnehin eine Vorgeschichte, die in studentischen Kursen wurzelt an der Universität. Vielleicht können sie noch mal skizzieren, was die Studierenden hier im Museum, in der Ausstellung für eine Aufgabe haben. Das stelle ich mir auch nicht ganz einfach vor.
Lindner: Ja, die Studierenden hier an der Uni Kassel haben mehrere Aufgaben. Sie waren beteiligt dabei zu überlegen, was eigentlich könnten Exponate sein, die in einer Ausstellung über den Suizid, über Suizidalität und Suizid-Prävention informieren. Das Zweite war die Frage, die sich besonders an Sozialarbeiter und Psychologen – oder werdende Sozialarbeiter und Psychologinnen – richtet, nämlich: Wie kann man mit Menschen sprechen, die darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen? Das haben wir geübt und trainiert und tun das auch während der Ausstellung, indem wir nämlich ein kleines Angebot erarbeitet haben. An drei Tagen in der Woche werden Studierende hier in der Ausstellung sein und Menschen, Personen, die ein Interesse haben, beraten. Das heißt, wer durch die Ausstellung oder in der Ausstellung den Wunsch hat, mit einer Person zu sprechen, die psychosozial kompetent ist, der kann hier mit jemanden aus der Uni Kassel, einer Studierenden, einem Studierenden, sprechen und kann überlegen, was kann der nächste Schritt sein zum Beispiel.
Herr Pörschmann, die Ausstellung trägt ja einen Appell schon im Namen „Let´s talk about it!“ Ist es dann eine gelungene Ausstellung, wenn es den Gästen nach dem Besuch leichter fällt, über das Thema Suizid zu reden?
Pörschmann: Das kann man wohl sagen. Darum geht es. Darüber sprechen. Mit Freunden darüber sprechen, dass man selbst mal den Gedanken hatte, sich das Leben zu nehmen. Mit Freunden, mit Bekannten darüber sprechen, dass man jemanden durch Suizid verloren hat, was man vielleicht länger verschwiegen hat. Sich gemeinsam darüber austauschen, was vielleicht die kollektiven, die gesellschaftlichen Gründe sein könnten, in aller Vielfalt. Es gilt hier ganz klar, das Stigma aufzulösen, das auf diesem Thema liegt. Denn wenn ich mich in einen Angehörigen, in eine Hinterbliebene versetze, die jemanden durch Suizid verloren hat, – das ist ja ein ganz intensiver Trauerprozess – wenn diese Person dann nicht die Möglichkeit hat, mit ihren Bezugspersonen, mit ihren Freunden, mit ihrer Familie ganz offen und intensiv darüber zu sprechen, dann nehmen wir den Angehörigen etwas. Dann wirkt das Stigma. Die werden eigentlich doppelt bestraft. Die haben jemanden verloren, das ist ein schwerer Verlust, der sie meistens lebenslang begleitet, und wir nehmen ihnen eigentlich an der Stelle eine kollektive Form des Mittragens. Ich glaube, das ist auch eine Aufgabe dieser Ausstellung – in diesem Museum für Sepulkralkultur –, um mit diesem Reden nicht nur das Thema in die Gesellschaft zu heben, sondern wir wollen, dass sich da etwas verändert. Und deswegen haben wir auch wöchentliche Veranstaltungen. Die Ausstellung läuft ein halbes Jahr. Wir bemühen uns, einmal in der Woche eine Veranstaltung zu machen, mit Vorträgen, mit Workshops, auch mal ein Konzert, unterschiedlichste Formate, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen, weil dieser Aufruf „Let´s talk about it!“ ist im Prinzip auch die Verantwortung an uns, dass wir den Raum ermöglichen. Und dafür sind wir ein öffentliches Museum, und das wollen wir sehr intensiv nutzen, viel mehr nutzen als wir das bei irgendeiner Ausstellung je gemacht haben.
Vielen Dank. Dann sind wir gespannt. Die Ausstellung beginnt am 10. September, dauert ungefähr ein halbes Jahr. Vielen Dank Herr Pörschmann, vielen Dank Frau Ahle, vielen Dank Herr Lindner.
Gespräch: Sebastian Mense