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Hilfreich waren die CIA-Dokumente
Interview: Sebastian Mense. Foto: Peter Schubart.
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Transkript des Podcasts:
Wir sprechen heute mit Frau Professor Sylvia Veit, die das Fachgebiet Public Management an der Uni Kassel leitet und die eine hochinteressante Studie über politisches Spitzenpersonal in Deutschland vorgelegt hat. Wir wollen mit ihr darüber sprechen, was diese Studie natürlich über die Karrieren dieses Spitzenpersonals aussagt, aber auch letztlich über Deutschland und seine Geschichte. Das Gespräch führen wir über das Internet, insofern bitte ich, die etwas schwankende Tonqualität an der ein oder anderen Stelle zu entschuldigen, aber inzwischen, glaube ich, haben wir uns ja alle an diesen Sound der Corona-Zeit auch etwas gewöhnt. Mein Name ist Sebastian Mense. Herzlich willkommen liebe Hörerinnen und Hörer.
Frau Veit, Sie haben untersucht, wie die Karrieren von Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern, Spitzenbeamtinnen und Spitzenbeamten verlaufen sind, und zwar über fünf politische Systeme: Vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR bis in unsere Gegenwart und dabei sind nicht weniger als 3.500 Biografien zusammengekommen, haben Sie mir vor unserem Gespräch erzählt. Das ist ein riesiges Korpus. Warum haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?
Sylvia Veit: Wir haben uns für diesen Ansatz entschieden, um die Forschung der Historikerinnen und Historiker sinnvoll zu ergänzen. In der geschichtswissenschaftlichen Forschung wird ja oft sehr stark ins Detail gegangen. Da werden Forschungsprojekte zu einzelnen Organisationen oder sogar Personen durchgeführt. Wir versuchen eher, quantitative Auswertungen zu ermöglichen. D.h., wir wollen zeigen, wie sich die Zusammensetzung der Ministerialeliten über die Systembrüche hinweg verändert und entwickelt hat. Auf dieser Datenbasis kann man dann ziemlich viele Fragen beantworten. Beispielsweise: Wie hat sich der Frauenanteil entwickelt? Wie haben sich Verwaltungs- und Politikkarrieren verändert? Woher stammen die neuen Eliten nach einem Systembruch?
Das heißt, Sie können Zeitverläufe beobachten und haben das ausgewertet und andererseits zu bestimmten Zeitpunkten einen Querschnitt gemacht und geschaut, wie sieht da die Zusammensetzung der Elite aus und was haben diese Personen für Biografien mitgebracht. Eine Auswertung, die sie jetzt kürzlich veröffentlicht haben, beschäftigt sich mit der Adenauer-Zeit, also dem politischen Wiederanfang in Westdeutschland nach dem Krieg. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist ein Ergebnis dieser Auswertung, dass der große Neuanfang nach dem Krieg zumindest personell nicht stattgefunden hat?
Sylvia Veit: Das ist richtig. Von den 334 Personen, die unter Kanzler Adenauer Spitzenpositionen in den Bundesministerien innehatten, war zwar nur ein kleinerer Anteil sehr stark in das NS-System involviert, aber es war auch keineswegs so, dass primär Widerständler in diese Spitzenpositionen geholt worden sind. Um ein paar Beispiele zu nennen: Von den leitenden Beamten in der Adenauer Zeit waren immerhin 8 % Mitglied der SS oder im SD, teils in leitenden Positionen, und rund 10 % waren auch Mitglied der SA und für 15 % belegen die Akten auch, dass sie sich explizit positiv zum SS-System geäußert haben. Das kann beispielsweise im Rahmen von öffentlichen Reden gewesen sein oder auch im Rahmen privater Korrespondenz. Ähnliche Auswertungen haben wir für die Gegenseite gemacht. Also für die Frage, wie viel Prozent haben sich dann explizit negativ zum System geäußert oder gegen das System gestellt? Was lässt sich da den Akten entnehmen? Und da haben wir für 11 % der Fälle explizite Widerstands-Aussagen in den Akten gefunden. D.h. der Anteil von den Spitzenbeamten, die eher dem Widerstand zugeordnet werden konnten, ist etwas kleiner als derjenigen, die sich positiv zum System geäußert haben. Wobei der aller größte Anteil eher nicht so stark aufgetreten ist im NS-System. Bei den Politikern ist der Anteil der Widerständler übrigens etwas größer, da sind das so um die 30 % in der Adenauer-Zeit.
Die große Masse derjenigen, die in Westdeutschland in leitenden Positionen war, hatte sich also irgendwie arrangiert, ohne in der ein oder anderen Richtung besonders aufzufallen.
Sylvia Veit: Das kann man so sagen. Spannend ist auch, wenn man sich beispielsweise die NSDAP-Mitgliedschaft anschaut, bei den Beamten waren es in der ersten Legislaturperiode 25 %, also ungefähr ein Viertel, und das ist dann in der Adenauer-Zeit noch einmal recht stark angestiegen auf über 40 % in der vierten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Danach ist es dann sukzessive zurückgegangen.
Okay, wie erklärt sich dieser Anstieg? Dass man auf einem eher niedrigen Niveau startet und das dann noch zunimmt?
Sylvia Veit: Das würde ich so erklären, dass man anfangs natürlich schon versucht hat, auch symbolisch zu zeigen, das ist jetzt ein neues System, also ein Bruch mit dem alten System. Und einfach eine größere Aufmerksamkeit darauf lag, wer gelangt jetzt in dieser Position und was haben die eigentlich in der NS Zeit gemacht und in welchem Verhältnis stand die zum NS-System? Und ich denke, diese Aufmerksamkeit hat dann sukzessive nachgelassen, sodass dann zunehmend auch Personen insbesondere in die Spitzenämter der Verwaltung gelangen konnten, die vielleicht auch im NS System durchaus eine tragende Rolle gespielt hatten.
Das ist jetzt sozusagen die eine Methode der Auswertung gewesen, also einen Schnitt zu machen. Und dann haben Sie gesagt, haben Sie auch ausgewertet, wie sich bestimmte Merkmale oder die Zusammensetzung im Zeitverlauf verändert haben. Ich vermute, das überrascht auch nicht besonders: in der Adenauer-Zeit fast ausschließlich Männer. Sie haben aber noch weitere Merkmale erhoben. Wie sah denn so ein typischer Spitzenbeamter oder Bundespolitiker der Adenauer-Zeit aus?
Sylvia Veit: So ein typischer Spitzenbeamter war männlich, wie Sie schon gesagt haben, hatte keinen Migrationshintergrund, war Jurist, promoviert, stammte aus einer Beamten-Familie häufig und aus einem eher bürgerlichen Elternhaus.
70 Prozent Promotionsquote, habe ich von einem Graph abgelesen...
Sylvia Veit: Ja, das war wirklich ein enorm hoher Anteil. Das ist auch ganz spannend, wenn man internationale Vergleiche macht, findet man in fast allen Ländern einen Anstieg des Bildungsniveaus unter den Verwaltungseliten. In Deutschland haben wir einen gegenläufigen Trend, also einen Rückgang des Bildungsniveaus. Das liegt natürlich an der sehr elitären Tradition, die wir da hatten.
Spannend finde ich auch den Blick auf die DDR. Sie beschäftigen sich auch viel mit der DDR. Das war aber schwieriger, an Akten zu kommen?
Sylvia Veit: Das war definitiv sehr schwierig. In der DDR war es so, dass sehr häufig Umstrukturierungen stattfanden des Apparates, neue Ministerien gegründet worden, Abteilungen zusammengelegt wurden, abgeschafft oder neu benannt wurden. Diese Organisationsveränderungen bilden sich ja normalerweise in Organisationsplänen ab. Das ist für uns eine ganz wichtige Grundlage, um nachvollziehen zu können, wer war jetzt eigentlich in Spitzenämtern. In der DDR war es so, dass diese Organisationspläne nach jeder Re- Organisation vernichtet worden. Das heißt, man kann es unheimlich schwer nachvollziehen. Das war auch gewollt, dass es nicht transparent ist. Insofern macht es sehr viel Arbeit, da erst einmal zu identifizieren, wer sind denn die relevanten Leute. Und natürlich braucht man die Namen, um dann auch nach den Akten suchen zu können. Ohne Name keine Akte. Ganz hilfreich waren da einige Publikationen des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA, die haben relativ akribisch die DDR beobachtet und dokumentiert, zumindest, was die politische Elite angeht. Zum Teil auch die Verwaltungselite, da ist es aber sehr unvollständig, das heißt, da ist noch eine ganze Menge Forschung nötig, um sich da ein vollständiges Bild zu erarbeiten.
Was Sie jetzt aufgrund der vorläufigen Quellen sagen können: Stimmt denn die Einschätzung, dass in der DDR beim Wiederaufbau mehr Widerständler gegen das Dritte Reich sich beteiligt haben und in hohe Position aufgestiegen sind?
Sylvia Veit: Wir können das erst mal nur für die Politiker vergleichen, aufgrund der derzeitigen Datenlage. Da ist es ganz spannend, sich den Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder anzuschauen. Der lag in der ersten Legislaturperiode der DDR-Volkskammer bei rund 9 % und ist dann kontinuierlich gefallen. In der BRD haben wir eine andere Entwicklung, in der ersten Legislaturperiode war der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder niedriger als in der DDR, der lag da bei rund 5 %, ist dann aber deutlich angestiegen auf bis zu 32 % im Vierten Deutschen Bundestag unter den Regierungspolitikern. Danach ist das dann auch zurückgegangen. Das heißt, im Schnitt kann man sagen, waren es in der DDR tatsächlich weniger ehemalige NSDAP-Mitglieder, die in diese Spitzenpositionen gelangt sind. Ganz spannend ist vielleicht auch noch: der Arbeiter-und-Bauern-Staat. Waren es tatsächlich viele Arbeiter und Bauern, die dann in diese Eliteposition gelangt sind? Da gibt es in der DDR eine sehr interessante Entwicklung: Am Anfang war das tatsächlich der Fall, haben wir weniger Akademiker in der politischen Elite. Sehr viele Leute, die nur einen Hauptschulabschluss als höchsten Bildungsabschluss hatten. Im Laufe der DDR hat sich das aber enorm verändert. Gegen Ende der DDR war der Anteil der Akademiker genauso hoch wie in der BRD. Da haben wir auch fast nur Personen mit einem Hochschulabschluss, auch ganz viele Promovierte unter den Spitzenpolitikern.
Ganz spannend fand ich auch: Es gibt einen relativ geringen Anteil von in Ostdeutschland Geborenen, die in Westdeutschland oder im wiedervereinigten Deutschland Spitzenposition erlangt haben. Es gab schon wieder welche vor der Wiedervereinigung, und der Anteil hat sich nach der Wiedervereinigung gar nicht so sehr verändert.
Sylvia Veit: Ja, das stimmt. Die Ostdeutschen sind in der Beamten-Elite nicht gut vertreten, es gibt kaum Ostdeutsche, die es in Spitzenpositionen in der Bundesverwaltung geschafft haben.
Vielen Dank, Frau Veit, das war sehr interessant, und wir haben gelernt: Die Welt wird vielfältiger, sogar in der deutschen Verwaltungselite. Nur die Ostdeutschen profitieren offensichtlich nicht davon. Danke für das Gespräch. Zu weiteren interessanten Ergebnissen der Studie können Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, unser kommendes publik-Magazin aufschlagen. In der Ausgabe, die im Juni erscheint, wird auch über die Forschungsergebnisse von Frau Professor Veit ausführlich berichtet. Für den Moment bedanke ich mich bei Ihnen, Frau Veit.
Sylvia Veit: Herzlichen Dank Herr Mense.