This page contains automatically translated content.

02/17/2021 | Porträts und Geschichten

„Es reicht nicht, den Eingang zur Universität aufzumachen“

Ende Januar wurde Prof. Dr. Ute Clement zur künftigen Präsidentin der Universität Kassel gewählt. Sie tritt ihr Amt im Oktober 2021 an. Im Interview spricht sie darüber, wie sie sich die Zukunft der Universität und die Lehre der Zukunft vorstellt – und was man mit Grimms Märchen so alles anfangen könnte.

Image: Pia Malmus.
Prof. Dr. Ute Clement nach der Wahl am 27. Januar.

Frau Clement, Sie treten die Präsidentschaft in dem Jahr an, in dem die Uni Kassel 50 Jahre alt wird. Was bedeutet das für Sie: eine Uni, die jetzt 50 Jahre geworden ist, nicht mehr ganz jung, aber auch nicht altehrwürdig?

Die Universität hat sich in den 50 Jahren stetig entwickelt, wir sind jetzt eine große und in vieler Hinsicht starke Universität, das ist gut so. Zugleich haben wir mit der Gründung als GhK auch einen Auftrag übernommen: Bildungschancen für alle zu bieten und mit kritischem Geist gesellschaftsrelevante Forschung zu betreiben – so wie das in unserem Motto „Heute für morgen“ zum Ausdruck kommt. Ich freue mich, dass dieses Motto im Jubiläumsjahr wieder mehr in den Vordergrund rückt.

 

Wodurch bieten sich die größten Chancen für die kommenden Jahre? Und wo gibt es die größten Baustellen?

Wir können vielleicht unterscheiden in Visionen einerseits und Aufgaben andererseits. Ich habe meine kommende Präsidentschaft unter das Motto „Qualität, Dialog und Zusammenhalt“ gestellt. Das sehe ich als Vision. Qualität heißt für mich, das in den Fokus zu rücken, was die Arbeit an diesem Thema, diesem Problem oder dieses Gespräch, diese Begegnung wirklich gut werden lässt. Überflüssiges, Eiteles, Probleme, die eigentlich keine sind, können dann weg. Dialog bedeutet, Argumente zu hören und zuzulassen, sich über Auseinandersetzung anzunähern. Und was den Zusammenhalt angeht, da wünsche ich mir, dass wir nach innen mitunter vielleicht streiten, aber nach außen als Universität Kassel gemeinsam auftreten.

Was die Aufgaben angeht: Wir haben durch das neue Finanzierungssystem ganz erhebliche Chancen. Wir hatten im vergangenen Jahr die günstige Situation, fast 100 Vollzeitäquivalente an Dauerstellen neu einrichten zu können. Und es entstehen etwa 50 neue Professuren, was eine ziemlich einmalige Chance ist, Schwerpunkte zu setzen. Es deutet sich allerdings schon jetzt die politische Herausforderung an, dass doch wieder befristete Programme mit befristeter Finanzierung aufgelegt werden, etwa beim Digitalpakt. Da müssen wir aufpassen.

 

Haben Sie schon Gespräche mit potenziellen Vizepräsidentinnen oder -präsidenten geführt?

Ich werde versuchen, ein Team zu bilden, das möglichst viele Perspektiven an der Uni abbildet. Über Namen können wir im Sommer reden.

 

Zurzeit sinken die Studierendenzahlen tendenziell. Bewerten Sie das als eine Art Konsolidierung oder als Problem?

Wir haben immer gesagt, dass wir einen moderaten Rückgang in Ordnung finden, der auch der demografischen Entwicklung entspricht. Dieses Ziel ist auch vom Land anerkannt. Aber es sollte eben langsam geschehen. Wir werden um Studierende stärker werben müssen als früher. Darin liegt auch eine Chance: Wir werden unsere Studiengänge grundlegend anschauen und dazu gehört neben der Verpackung auch der Inhalt. Wenn wir wirklich Teilhabe durch Bildung bieten wollen, dann reicht es nicht, den Eingang zur Universität aufzumachen, dann sollte auch das Studium selbst so sein, dass neue Perspektiven auf die Welt und in die Welt entstehen. Das gelingt, wenn wir Bildungsinhalte selbst reflektieren, an heutige und künftige Lebenswelten anschließen, ohne dass Studium dabei in Praxis aufgehen sollte.

 

Sie meinen aber mehr als Employability?

Ja, absolut. Eher Empowerment, um bei englischen Schlagworten zu bleiben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. In der Lehrerbildung müssen wir die jungen Leute darauf vorbereiten, dass sie Klassen gegenüberstehen, in denen nicht mehr alle, vielleicht nicht einmal die Mehrheit der Lernenden Deutsch als Muttersprache spricht. Das erfordert einen ganz anderen Umgang mit Kultur, eine andere Didaktik, andere Lehrinhalte in den Schulen.

 

Also nicht mehr nur Grimms Märchen durchnehmen, sondern die Märchen anderer Kulturen?

Nein, so meine ich das nicht, aber das Beispiel ist dennoch gut. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich gerne mit Grimms Märchen auseinandersetzen, die haben für uns auch eine regionale Bedeutung und sie sind ein wunderbarer Stoff. Aber man kann sich doch fragen, was sagt es für unsere Lebenswelten aus, wenn Kinder Angst haben, dass ihre Eltern sie verlassen und verstoßen? Und ist der Wald für andere Kulturen genauso geheimnisvoll wie in der deutschen Kulturgeschichte oder hat er für manche vielleicht eine ganz andere Bedeutung? Solche Fragen. Wir sind da schon gut, aber wir können es noch deutlich besser. Zweitens müssen wir nach außen vermitteln, was wir in der Lehre richtig machen, und damit um Studierende werben. Drittens müssen wir uns überlegen, wie wir die Inhalte künftig vermitteln, auch in Digitalformaten. Das ist ein dickes Brett.

 

Nach einem Jahr Corona, nach Digital- und Hybriduniversität – sehen Sie da eher die Chancen für die Zukunft oder sehen Sie das Jahr als Katastrophenjahr? Und wie viel Digitallehre bleibt denn nach Corona?

Ich weiß die Vorteile von ortsungebundener Lehre zu schätzen, ich habe selber von Südamerika aus „fern“-studiert und das als großartige Chance erfahren. Gleichzeitig weiß ich dadurch, was ohne Präsenzlehre auch fehlt. Ich habe auch die Sorge, dass uns gerade Studierende verloren gehen, weil sie vereinzeln oder die Belastung nicht wegstecken. Es geht um einen klugen Mix. Ich finde die Idee interessant, einen virtuellen Freitag einzuführen. Mal sehen.

 

Zur Forschung: Vor kurzem hat das Land Hessen Projekte ausgewählt, die, ich formuliere es jetzt mal etwas simpel, für die Exzellenzstrategie vorbereiten sollen. Die Uni Kassel ist nicht dabei.

Es ist schade, dass wir in dieser auch politisch verhandelten Förderlinie nicht berücksichtigt wurden. Aber ich sehe das nicht als Rückschlag. Der Bereich Nano/Materialwissenschaften, mit dem wir uns beworben hatten, bleibt ein Schwerpunkt, und ich bin sicher, dass wir aus diesen Forschungslinien weiterhin erfolgreich Verbundprojekte erreichen werden.

 

Neben dem Bereich Materialwissenschaften und sowie Nachhaltigkeit soll es ein oder zwei weitere Forschungsschwerpunkte geben. Welche könnten das sein und wie werden sie entwickelt?

In den vergangenen Jahren haben wir mit unserer internen Forschungsförderung eine ganze Reihe von Kooperationen angestoßen. Dieses Engagement wird sich künftig auch in erfolgreichen Verbundprojekten niederschlagen. Schwerpunkte werden sich da ganz organisch entwickeln. Ich glaube nicht, dass wir intern in den Wettbewerb gehen sollten.

 

Welche Bedeutung wird das entstehende Zentrum für nachhaltige Transformation für die Universität haben?

Das wird schon ein zentraler Baustein, auch für die Ausstrahlung der gesamten Universität. Das heißt aber nicht, dass jetzt die gesamte Universität nur noch Nachhaltigkeitsforschung betreiben wird. Es gibt so viele interessante Forschung und Kunst bei uns!

 

Zu einem anderen Thema, das Sie als Vizepräsidentin beschäftigt, den Arbeits- und Karrierebedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wie kann man die Stellung des wissenschaftlichen Nachwuchses stärken?

Universitäten haben einen Bildungsauftrag, der über Masterabschluss hinausgeht. Wir qualifizieren eben auch zur Promotion und darüber hinaus. Und auch nicht nur für die Uni, sondern auch für die Politik, die Wirtschaft, NGOs. Qualifizierung bleibt ein zeitlich begrenztes Unterfangen, aber bei den anschließenden Karrierewegen gibt heute ganz unterschiedliche Wege. Diese Vielfalt in den Blick zu nehmen, finde ich wichtig.

 

Ein weiteres Thema, das Ihnen sehr am Herzen liegt, ist die Frauenförderung...

Als Vizepräsidentin habe ich staunend festgestellt, dass es immer noch Bereiche gibt, in denen Frauen noch nicht selbstverständlicher Teil der Fachkollegien sind. Manchmal herrscht dort eine Kultur, die Frauen zu schaffen macht – übrigens ohne dass die Kollegen das beabsichtigen oder auch nur merken.  Ich glaube, viele Probleme würden sich ganz schnell lösen, wenn erst mal Frauen mit am Tisch sitzen. Ich möchte Frauen auch ermutigen, sich für ihre Anliegen stark zu machen. Und schließlich gilt es auch, sich Bereiche genauer anzuschauen, in denen viele Frauen arbeiten, zum Beispiel die Sekretariate. Wie sind hier die Arbeitsbedingungen?

 

Sie haben sich als Vizepräsidentin sehr engagiert für die Klimabefragung. Das Thema hat uns im letzten und vorletzten Jahr stark beschäftigt und durch Corona und das Thema Mobiles Arbeiten noch mal eine ganz besondere Richtung bekommen.

Die Klimabefragung und die Diskussion in ihrem Kontext bieten Möglichkeiten, die vielleicht noch nicht bei allen Stellen ausreichend wahrgenommen werden. Wir bieten den Fachbereichen und Abteilungen umfassend Aktivitäten zur Organisationsentwicklung an. Sie können sich auf der Grundlage der Befragungsergebnisse mit den Dekanaten oder ihren Abteilungsleitungen über die Art der Zusammenarbeit in ihren Orga-Einheiten klarwerden und da was tun. Nutzen Sie diese Möglichkeit! Es lohnt sich, jetzt zu vereinbaren, wie wir nach Corona weitermachen wollen.

 

Die kommende Ausgabe des Uni-Magazins publik (erscheint am 12. April 2021) hat einen Schwerpunkt zu Lateinamerika und den vielen Kooperationen, die die Uni Kassel hier unterhält. Warum gerade dieser Kontinent?  

Wir haben vor einigen Jahren festgestellt, dass eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen mit Argentinien und anderen südamerikanischen Staaten Beziehungen unterhält, von der Politik über die Romanistik bis hin zur Physik. Daraus haben wir diesen Schwerpunkt entwickelt, der durch das ICDD und dann den Verbund CALAS weiteren Schub bekommen hat. Es freut mich auch persönlich: Ich habe selbst sieben Jahre in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern gelebt. Aber natürlich geht es nicht um meine eigene Verbindung mit dem Kontinent – Lateinamerika ist für die Wissenschaft ein spannender Partner. Und genauso wollen wir Kooperationen mit Ländern anderer Kontinente vertiefen.

 

Das Interview führten Beate Hentschel und Sebastian Mense