Eine Bronzemedaille für Kassel
Lang ist`s her, dass Klaus Lehnertz bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio die Bronzemedaille im Stabhochsprung gewinnen konnte, doch er erinnert sich noch gut an den 17. Oktober 1964 und den dramatischen Wettkampf: „Die Entscheidung fiel erst nach neun Stunden um kurz vor Mitternacht.“ Bis heute freut er sich über seinen Erfolg und die Bronzemedaille: „Wenn ich die richtig putze, glänzt sie wie Gold..."
Vor dem Wettkampf zählt Lehnertz nicht unbedingt zu den Medaillenkandidaten, seine Bestleistung liegt bis dahin bei 4,85 m. Zudem fehlt ihm durch seine beruflichen Verpflichtungen an der Universität Göttingen auch die Zeit für ein intensives Training. Im Rückblick sieht Lehnertz das als seinen großen Vorteil: „Dadurch habe ich mir die Freude am Sport und am Wettkampf erhalten.“ Er zeigt Nervenstärke und wählt auch die richtige Wettkampf-Taktik: Während seine Konkurrenten verschiedene Höhen auslassen, überspringt er ab 4,40 m jede Höhe und bleibt so im Rhythmus.
Geteilte Freude
Mit Klaus Lehnertz gehen zwei weitere deutsche Stabhochspringer an den Start: Wolfgang Reinhardt aus Leverkusen und Manfred Preußger aus Leipzig. Es sind für eine lange Zeit die letzten Spiele, bei denen eine gesamtdeutsche Mannschaft antritt. Aber die deutsche Teilung zeigt sich auch im Olympischen Dorf: Dort sind die Sportlerinnen und Sportler aus Ost und West in getrennten Quartieren untergebracht. „Private Kontakte mit uns waren den DDR-Sportlern verboten", erzählt Lehnertz. Doch mit Preußger ist er gut befreundet, die beiden unterstützen sich im Wettkampf und geben sich Tipps. Umso mehr bedauert es Lehnertz, dass er Preußger auf den undankbaren vierten Platz verweist. Beide überspringen 5 m, aber Lehnertz hat einen Fehlversuch weniger. Reinhardt gewinnt mit 5,05 m die Silbermedaille, der favorisierte Amerikaner Fred Hansen schafft 5,10 m und wird Olympiasieger.
Seinen Erfolg begreift Klaus Lehnertz recht schnell und genießt die Atmosphäre im Olympiastation von Tokio. „Es war ein unbeschreibliches Gefühl. In der folgenden Nacht habe ich kein Auge zugetan“, erinnert er sich. In den nächsten Tagen hat er noch Gelegenheit, Land und Leute kennenzulernen, denn er tritt in verschiedenen japanischen Städten bei Sportfesten und Wettkämpfen an.
Ein herzlicher Empfang
Auch die Kasselerinnen und Kasseler freuen sich mit Klaus Lehnertz, der für den KSV Hessen startet und zum ersten Mal eine olympische Medaille nach Kassel bringt. Sie bereiten ihm bei seiner Rückkehr am 6. November einen begeisterten Empfang. Tausende Zuschauerinnen und Zuschauer stehen am Hauptbahnhof und auf seinem Weg zum Rathaus Spalier, wo ihn Glückwünsche und die Goldene Sportplakette vom Kasseler Oberbürgermeister erwarten. Bewegt bedankt sich Lehnertz: „Ihre Begeisterung zeigt mir, dass Sie sich mit mir gefreut haben, und diese Freude ist für einen Sportler der schönste Lohn!", zitiert ihn die Lokalzeitung.
Lehnertz nimmt noch einige Jahre an Wettkämpfen teil und gewinnt nationale Titel, doch die Bronzemedaille kann er nicht mehr toppen. Die Olympischen Spiele in Mexiko City 1968 verlaufen recht unglücklich für ihn, da seine Sprungstäbe auf der Reise verloren gehen und er schon in der Qualifikation ausscheidet. 1969 wechselt er ins Trainerfach und trainiert bis 1974 das Stabhochsprung-Team des KSV Hessen. Bei den Olympischen Spielen in München 1972 ist er kurzzeitig Bundestrainer im Stabhochsprung.
Professor an der GhK
Wichtiger wird auch seine wissenschaftliche Karriere. Nach einer Banklehre und einer Ausbildung zum Sportlehrer lehrt er ab 1966 in Kassel, zunächst am Pädagogischen Fachinstitut und ab 1971 an der GhK. 1973 wird er Professor für Sportwissenschaft. Seine Promotion schließt er 1978 ab, 1985 erfolgt seine Habilitation mit einer Arbeit über Muskelphysiologie. Er unterrichtet die Studierenden in technisch schwierigen Sportarten wie Leichtathletik, Tennis und Skilaufen und setzt sich auch dafür ein, dass Golf an der Hochschule eingeführt wird. „Vor allem wollte ich meinen Studierenden die Freude und die Motivation am Sport vermitteln.“ Er hat die Zeit in guter Erinnerung: „Wir hatten unbegrenzte Freiheit zum Forschen. Die Hochschulleitung hat das Sportinstitut sehr gefördert.“ Lehnertz` Forschungsschwerpunkt liegt in der Trainings- und Bewegungslehre. Mit dem „Handbuch Trainingslehre“ hat er ein bis heute gültiges Standardwerk mit herausgegeben. Auch nach seiner Emeritierung 2003 setzt er sich noch nicht zur Ruhe, sondern lehrt weiter beim Golfverband.
Nach einer so langen Verbundenheit mit dem Sport blickt er heute aber auch durchaus kritisch auf die Entwicklungen, insbesondere auf das Profitum, die Kommerzialisierung und die Doping-Problematik im Spitzensport. Nach seiner Meinung hätten die Olympischen Spiele in Tokio 2021 wegen der Pandemie abgesagt werden sollen.
Golf und Skifahren halten fit
Heute genießt Klaus Lehnertz seinen wohlverdienten Ruhestand mit seiner Frau Gisela. Seit 59 Jahren sind die beiden verheiratet. Sie hat regen Anteil an seiner Karriere genommen: „Ich habe ihn immer beim Training unterstützt und zum Beispiel den Stab aufgefangen.“ Dem Sportinstitut sind beide treu geblieben: Bis die Corona-Pandemie Reisen unmöglich machte, fuhren sie jedes Jahr mit Sportstudierenden zum Skifahren. Mit über 80 Jahren sind beide noch sehr fit, wozu sicher auch die langen Spaziergänge beitragen: „Jeden Nachmittag steht eine Wanderung auf dem Plan, zum Beispiel zur Löwenburg. Und wir werkeln auch gerne im Garten“, erzählt Gisela Lehnertz. Aber vor allem freuen sie sich darauf, dass der Golfplatz nach dem Lockdown wieder öffnet.
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TEXT Kathrin Meckbach