Mehr Mobilität, weniger Verkehr
Wer auf dem Land lebt, kennt das Problem: Bahnverbindungen sind zunehmend ausgedünnt, Busverbindungen gibt es bestenfalls sporadisch und ohne eigenes Auto ist es oft schwierig, weiter entfernte Ziele zu erreichen. Ideen, wie sich die Mobilität im ländlichen Raum verbessern lässt, gibt es viele: Vom sogenannten „Ride-Sharing“, also der Vermittlung von Fahrten über eine Mitfahrzentrale, über verschiedene Leihfahrzeuge bis hin zur Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Um diese Ideen im realen Umfeld zu testen, sind im Rahmen des Bundesprogrammes Ländliche Entwicklung insgesamt 41 Projekte ausgewählt worden, die über einen Zeitraum von drei Jahren gefördert werden.
Unter dem Oberbegriff „LandMobil – gemeinsam unterwegs in ländlichen Räumen“ bekommen die ausgewählten Projekte die Möglichkeit, ihre Ideen auf Umsetzbarkeit zu testen. Mit an Bord ist auch die Universität Kassel – das Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme (Leitung: Prof. Dr. Carsten Sommer) wird, gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Urbanistik, die Einzelprojekte intensiv begleiten und evaluieren. „Die fachliche Begleitung und Evaluation der LandMobil-Projekte dient dazu, sowohl Erkenntnisse zu gewinnen über die Wirkungen der einzelnen Maßnahmen als auch über fördernde und hemmende Faktoren während der Erprobungen“, schildert Dr. Melanie Herget, die das Projekt im Fachgebiet betreuen wird. „Mit Hilfe von Veranstaltungs- und Austauschformaten zwischen den Einzelprojekten wollen wir Synergieeffekte fördern, so dass wir am Ende gemeinsame Empfehlungen für die Politikgestaltung geben können“, erklärt sie weiter.Auftraggeber ist das Kompetenzzentrum Ländliche Entwicklung (KomLE) der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) mit enger Anbindung an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Digitalisierte Mobilität, neue soziale Orte
Auch Forschende aus dem Fachbereich Architektur – Stadtplanung – Land-schaftsplanung (ASL) haben sich mit nachhaltigen Mobilitätsoptionen beschäftigt. Jüngst zum Abschluss gekommen ist ein Verbundprojekt der Fachgebiete Architekturtheorie und Entwerfen (Prof. Philipp Oswalt), Stadt- und Regionalplanung (Prof. Dr. Frank Roost) sowie Städtebau. Prof. Stefan Rettich und Lola Meyer sprachen in der Reihe „Inter / view“ mit Ralf Blasig von der Volkswagen AG über die Mobilität der Zukunft.
Als ein Ergebnis des Projekts sehen die beiden, dass der klassische Linienbus auf lange Sicht keine Zukunft mehr hat – zu teuer im Unterhalt und zu unflexibel bei den Fahrplänen, geht er an den Bedürfnissen von Menschen im ländlichen Raum vorbei. Stattdessen sehen Rettich und Meyer große Chancen für sogenannte Ride-Pooling-Angebote: „Unser Ziel ist, den privaten Verkehr für die Öffentlichkeit zu erschließen. Zu diesen Zweck haben wir das Modell digitalisierter Mitfahrerbänke entwickelt: Man verabredet sich über eine Online-Plattform und trifft sich dann am vereinbarten Ort zur gemeinsamen Fahrt. Der Mitfahrer zahlt dem Fahrer dafür einen überschaubaren Betrag. So können sich öffentlicher und privater Verkehr gegenseitig stützen“, sagt Meyer. Rettich ergänzt: „Es kommt darauf an, die Menschen zu motivieren. Im Raum Offenbach gibt es ein Ride-Pooling-Angebot, für das sich bereits ein Viertel der Bevölkerung angemeldet hat. Die Nachfrage ist so hoch, dass mittlerweile neun Shuttle-Fahrzeuge im Einsatz sind. Ein Schlüssel für den Erfolg war intensive, bürgernahe Kommunikation. “Das Konzept der Kasseler Forschenden sieht sogenannte Mobilitäts-Hubs in jedem Ort vor. Diese Plätze sollen Gelegenheit für soziale Begegnungen bieten und zugleich der Daseinsvorsorge dienen. Ausstattung und Funktionen unterscheiden sich nach Größe und Lage des Orts. So verfügt die mittlere Variante – der Midi-Hub – über eine Paketstation, Tausch-Boxen für Bücher oder Obst sowie einen Kiosk. Er wird von Bussen und On-Demand-Shuttles angefahren und bietet eine digitalisierte Mitfahrerbank. So nennen die Forschenden flexible Treffpunkte für Mitfahrgelegenheiten.
Im Rahmen des Projekts „BauMobil“ wurden die beteiligten Forschenden auch von Praxispartnern unterstützt, unter anderem dem Nordhessischen Verkehrsverbund, dem Zweckverband Raum Kassel und der Stadt Trendelburg. Zeithorizont war das Jahr 2050. Das Projekt wurde vom Bun-desinstitut für Bau-, Stadt- und Raum-forschung in der Programmlinie Zukunft Bau gefördert – gerade wurde eine Anschlussförderung bis 2023 bewilligt.
Dieser Beitrag erschien im Universitäts-Magazin publik 2021/1. Text Markus Zenz