Meerestier nach Kasseler Soziologin benannt
Bogusz ist Professorin am Fachgebiet Soziologie sozialer Disparitäten. Ihr Thema: Ungleichheiten zwischen sozialen Akteuren. Die Forschung von Tanja Bogusz ist eng an die Ethnologie angelehnt. Sie untersucht soziale Milieus mittels Feldforschung, auch Ethnografie genannt. Direkt durch Beobachtung vor Ort. Eines ihrer Projekte führte sie in die Südsee zu einer meeresbiologischen Expedition an der Küste Papua-Neuguineas. Eine Soziologin bei einer biologischen Expedition? „Auch die Naturwissenschaften sind ein soziales Milieu“, sagt Bogusz. „Ich wollte ihre inneren Gesetzmäßigkeiten und Kommunikationsstrukturen verstehen.“
Dafür arbeitete sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Muséum national d’histoire naturelle in Paris zusammen. „Naturwissenschaften sind ein spannendes Forschungsfeld“, sagt sie. Die globale ökologische Krise verändere sie. „Klimawandel, Überfischung, Artensterben, all das beeinflusst die Wissenschaft. Ich wollte ihre Transformationsprozesse erforschen.“ Das tat sie und erlebte mehr als graue Theorie.
Die Erforschung der Forschung
Bogusz verbrachte viel Zeit mit den Meeresbiologen des Pariser Museums. Sie erforschte die Forscher: interviewte sie, beobachtete ihre Arbeit, machte Notizen. So wollte sie Erkenntnisse über ihre Arbeit gewinnen. Das Besondere an der Meeresbiologie findet man aber weder unterm Mikroskop noch am Schreibtisch. „Ich wollte mit auf eine meeresbiologische Expedition und die Forscher bei der Arbeit vor Ort erleben“, sagt Bogusz. „Mich interessieren Menschen und was sie machen.“
Ende 2012 lud der französische Meeresbiologe Philippe Bouchet sie auf eine Expedition ein. Die Kosten für Bogusz‘ Ethnografie übernahm die Fritz Thyssen-Stiftung. Das Ziel: die Südsee, die Küste von Papua-Neuguinea. Eine Region, deren Name von der deutschen Kolonialgeschichte herrührt – der „Bismarck-Archipel“: Eine Ansammlung tropischer Inseln zwischen türkisblauem Pazifikwasser. „Wir waren zunächst oft im Labor“, sagt Bogusz. „Dann ging es raus, ans Meer. Wir wurden mit Pickups an die Küste gefahren. Von dort ging es mit Schlauchbooten aufs Meer, wo die Forscher nach Meerestieren suchten.“ Bouchets Team sammelte und klassifizierte dort Schnecken und Muscheln.
„Handfeste“ Kritik
Wer Tiere erforscht, dem stehen oft allzu menschliche Probleme im Weg. Wie bei jeder Expedition sind viele Abkommen mit Regierungen und Lokalverwaltungen nötig. Und selbst dann kann es Schwierigkeiten geben. Papua-Neuguinea hat historisch viele Versuche der Kolonialisierung abgewehrt und verfügt über ein politisches System, das auf der lokalen Selbstbestimmung der Bevölkerung beruht. „In manchen Regionen hat der Staat wenig Einfluss“, so Bogusz. „Hier herrschen die Clans.“ Und die verstehen bei ihren
Gewässern keinen Spaß. „Sie hielten uns für ausländische Konzerne, die ihren Fischbestand gefährden und Ressourcen abgreifen.“ Das sei trauriger Alltag in der Südsee-Republik, so Bogusz. Daher wurden Expeditionsteilnehmer von Küstenbewohnern angegriffen und mit Steinen beworfen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verhandelten mit Clan-Vertretern. „Auch hier durfte ich dabei sein“, so Bogusz. Mit Erklärungen ihrer Arbeit und geschickter Diplomatie konnten die Forscher weitermachen. Die Expedition war erfolgreich – nicht nur für die Biologen.
Eine Welt unterm Brennglas
Auch Bogusz‘ Forschung war fruchtbar. „Ich konnte in zahlreiche soziale Milieus schauen und Erkenntnisse darüber gewinnen, wie diverse soziale Gruppen miteinander kooperieren.“ Wissenschaftler, Lokalpolitiker, Studierende, Clans, eine Expedition führt viele Menschen zusammen. „Es war eine Welt unterm Brennglas.“ Auch über den Zustand der Meeresbiologie gewann sie Wissen. „Die große Biodiversität in Ländern wie Papua-Neuguinea geht langsam verloren“, sagt sie. „Darum arbeiten Einheimische, Zivilgesellschaft und Forscher heute unter größerem Druck. Sie wollen so viel wie möglich erforschen.“
Aber wie ist es, Forschung zu erforschen? Meeresbiologen als Forschungsobjekte? „Die Mitarbeiter waren sehr offen und interessiert, haben mir viel erklärt“, sagt Bogusz. „Meine Anwesenheit wurde geschätzt.“ Rückfragen zu ihrer Forschung konnte sie schnell beantworten. „‘Ihr seid meine Muscheln‘, sagte ich den Kollegen immer.“ Vor allem nach der Expedition erfuhr Bogusz die besondere Wertschätzung des Teams. „Bouchet teilte mir mit, er wolle eines der Tiere, die er entdeckt habe, nach mir benennen lassen.“ Seitdem gibt es die Schneckenart Joculator Boguszae. Eine große Ehre.
Dieser Artikel ist erschienen in der publik 1/2019 (20.03.2019).
Von David Wüstehube