Künstler, Fürsten, Unternehmerin
Wer den Personen und Orten auf den Schildern nachgeht, vor dessen Augen entfaltet sich ein Panorama – die Geschichte eines Ortes. Hier ist Teil II der Reihe „Straßennamen an der Uni Kassel“.
Moritzstraße
Durch diese Verkehrsader fließt blaues Blut. Ihren Namen hat sie nämlich von einem Aristokraten aus dem Haus Hessen-Kassel: Landgraf Moritz. Die Straße führt quer über den Campus Holländischer Platz und verbindet die Holländische Straße mit der Mönchebergstraße. Dem Landgrafen hätte es gefallen, dass eine Straße seines Namens den Campus der Kasseler Universität durchquert, war er doch bekannt als „der Gelehrte“. Er war nicht nur von 1592 bis 1627 Regent der Landgrafschaft, Moritz war auch Alchemist und Musiker, soll mehrere Sprachen fließend beherrscht haben und ließ das erste eigenständige Theatergebäude Deutschlands errichten: das Ottoneum, heute Kassels Naturkundemuseum. Zunächst Lutheraner, konvertierte Moritz 1605 zum Calvinismus. Konsequent setzte er das calvinistische Bekenntnis in seiner lutherisch geprägten Landgrafschaft durch. Moritz starb 1632 in Eschwege. Die Straße soll ab Sommer 2019 umgebaut werden. Aus der Moritzstraße mit ihrem belebten Autoverkehr wird ein fußgängerfreundlicher verkehrsberuhigter Bereich.
Burckhardtplatz
Schon mal was von „Promenadologie“, der Spaziergangswissenschaft gehört? Laut einem Artikel einer bekannten Wochenzeitung ist das ein Studiengang oder ein Lehrstuhl an der Uni Kassel. Stimmt aber nicht. Promenadologie ist eine wissenschaftliche Methode der Stadtplanung. Ihr Entwickler war Lucius Burckhardt, Professor für sozioökonomische Grundlagen des Städtebaus. Der nach ihm benannte Platz liegt auf der Nordseite der Kreuzung zwischen Gottschalkstraße und Moritzstraße. Der Schweizer Burckhardt wurde 1925 geboren, studierte in Basel und kam über mehrere Stationen 1973 an die Kasseler Hochschule. 2003 starb er in Basel. Sein Werk ist umfangreich – ob als Wissenschaftler oder politischer Aktivist. Bahnbrechend waren seine Leistungen in den Bereichen Ästhetik und Urbanismuskritik. Seine wichtigste Wegbegleiterin war seine Kollegin und Ehefrau Annemarie Burckhardt. Die Spaziergangswissenschaft war eine seiner Leistungen: Dahinter steckt die Idee, Landschaften direkt durch eigene Wahrnehmung zu erschließen. Noch heute kann man in Riede bei Kassel den „Urspaziergang“ ablaufen: Burckhardts ersten promenadologischen Spaziergang. Den Lehrstuhl für Spaziergangswissenschaft hat es aber nie gegeben. Wie heißt es doch gleich: Wenn etwas spaziert, klingt und aussieht wie eine Ente, dann ist es eine Ente.
Wilhelmshöher Allee
Die Wilhelmshöher Allee verläuft über viereinhalb Kilometer kerzengerade vom Brüder-Grimm-Platz bis zum Bergpark Wilhelmshöhe. Vom Brüder-Grimm-Platz aus erreicht man nach einem Kilometer den Campus des Fachbereichs 16 Elektrotechnik/ Informatik. Benannt ist die Straße nach dem Stadtteil Bad Wilhelmshöhe. Dieser wiederum hat seinen Namen von Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel. Der erste Kasseler Kurfürst ließ die Straße bauen, um sich und seinen Gästen den Zugang zu den üppigen Parkanlagen zu ermöglichen, die wir heute als Bergpark Wilhelmshöhe kennen. Wilhelm hatte Stil: Neben dem Park ließ er das prachtvolle klassizistische Schloss Wilhelmshöhe bauen. Wer die „Willi-Allee“ Richtung Westen entlang läuft, hat einen beeindruckenden Blick auf Kassels Wahrzeichen: den Herkules und Schloss Wilhelmshöhe.
Arnold-Bode-Straße
Dieser Name ist keinem Kunstkenner fremd. Die Straße, die an der Zentralmensa auf dem HoPla beginnt und in die Moritzstraße mündet, ist nach Arnold Bode benannt, dem „Vater der documenta“. Der Künstler Bode wurde 1900 in Kassel geboren und studierte ab 1919 an der damaligen Kasseler Kunstakademie. Aufgewachsen ist er in der Nordstadt in der Nähe des heutigen Campus. Er zog 1930 nach Berlin und arbeitete dort am Städtischen Werklehrer-Seminar. Als Sozialdemokrat verlor er während der NS-Zeit seine Anstellung. Er wurde von der Wehrmacht eingezogen und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam ihm die Idee für eine internationale Kunstausstellung. Deutschland sollte nach den verlorenen Jahren des NS-Regimes in Sachen moderner Kunst wieder an die Welt anknüpfen. Die Idee der documenta war geboren. Gemeinsam mit Künstler-Kolleginnen und -Kollegen organisierte er 1955 die erste Ausstellung. Bode war Organisator, Leiter und Künstler. „Ich musste aus Kassel etwas machen, um nicht unterzugehen“, sagte er später. Bis zur documenta 5 von 1972 blieb Bode stets an der weltgrößten Ausstellung für moderne Kunst beteiligt. Für sein Lebenswerk erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Er war außerdem Professor an der Kasseler Staatlichen Hochschule für Bildende Künste, der Vorgängerin der heutigen Kunsthochschule. Bode starb 1977 in seiner Heimatstadt.
Menzelstraße
An der Kunsthochschule Kassel klingt schon die Adresse nach Kunst. Die Straße in der Südstadt trägt den Namen eines Künstlers. Adolph von Menzel war Maler und Zeichner, geboren 1815 in Breslau. Er selbst besuchte nur kurz eine Kunsthochschule und brachte sich selbst das Zeichnen bei. 1839 illustrierte er Franz Theodor Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“ – sein Karriere-Sprungbrett. Als Spezialist für die friderizianische Zeit malte und zeichnete Menzel vor allem Motive mit Bezug zu Friedrich II. Heute gilt er als Wegbereiter des Realismus in der deutschen Malerei. Der als Einzelgänger bekannte Menzel war diszipliniert. Sein Motto: „Nulla dies sine linea“ – Kein Tag ohne eine Linie zu zeichnen.
Henschel- und Gottschalkstraße
Cafés und Copy-Shops, Bars und Buchhandlungen: Beide Straßen sind studentisch geprägt und strahlen eine gewisse Leichtigkeit aus. Einige Backstein-Gebäude erinnern an ihre industrielle Vergangenheit. Die Henschel- und die Gottschalkstraße markieren die westliche Grenze des Campus HoPla und sind nach zwei bedeutenden, ehemals hier ansässigen Unternehmen benannt. Der Name Henschel hat Tradition in Kassel. 1810 gilt als Gründungsjahr der Firma. In diesem Jahr begann der Kasseler Gießer Carl Henschel als Gießerei- Unternehmer zu arbeiten. Das Familienunternehmen wuchs das ganze 19. Jahrhundert hindurch und baute die legendäre Lokomotive „Drache“. Henschel stand zu dieser Zeit nicht nur für technischen, sondern auch für sozialen Fortschritt: Eine betriebseigene Krankenkasse wurde eingerichtet. 1894 war ein entscheidendes Jahr für Henschel. Unternehmensleiter Carl Anton Oskar Henschel starb und das Unternehmen fiel an seine Ehefrau Sophie. Als Frau an der Spitze eines Großunternehmens war Sophie Henschel eine herausragende Erscheinung ihrer Zeit. Bis zu ihrem Tod 1912 führt sie das Kasseler Unternehmen an die Spitze des europäischen Lokomotivbaus.
Heute erinnert das Sophie- Henschel-Haus auf dem Campus HoPla an die einstige Fabrikherrin. Nicht nur Fortschritt und Erfolg prägen die Unternehmensgeschichte. Während der NS-Zeit war das Unternehmen an den Verbrechen des Regimes beteiligt. Henschel stellte Rüstungsgüter her und beschäftige Zwangsarbeiter. Auf dem Campus Holländischer Platz erinnert das Denkmal „Die Rampe“ daran. Die Firma Gottschalk & Co stellte vor 20 Jahren den Betrieb ein. Jüngere Kasselerinnen und Kasseler kennen sie deshalb kaum, dabei war sie schon seit 1884 hier. Das Unternehmen produzierte Segeltuch. Unter dem NS-Regime wurde es der Firma Henschel angegliedert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fiel es an die Familie Gottschalk zurück. Die Firma stand in unmittelbarer Nähe des Schlachthauses der Firma HaFeKa. Vor 100 Jahren stank es hier nach Kohle und Schlachtabfällen. Heute riecht es eher nach frischem Kaffee und Shisha-Tabak. Ein langer Weg vom Industriegebiet zum Hochschulcampus.
An der Ahna
Selbsterklärend: Die Straße läuft den Bach Ahna entlang.
Universitätsplatz
Der Universitätsplatz umfasst den größten Teil des nördlichen Campus HoPla und er heißt so, weil, na ja, die Universität hier ansässig ist.
Mönchebergstraße
Wer vom Campus HoPla aus die Moritzstraße Richtung Weserspitze entlang läuft, kommt schnell ins Schwitzen. Hier geht es bergauf. Der Campus wird im Osten nämlich durch die Mönchebergstraße begrenzt, die über den Möncheberg führt. Der Berg ist nach seinen früheren Besitzern, den Karmelitermönchen, benannt. 1261 ließen sich die frommen Brüder erstmals in Kassel nieder.
Von David Wüstehube