19.04.2018 | Pressemitteilung

Bauhaus-Laubenganghäuser in Dessau: Verbindung führt nach Detroit

Die städtebauliche Konzeption für die Laubenganghäuser in Dessau – seit kurzem Teil des UNESCO-Welterbes – geht auf den Bauhaus-Lehrer Ludwig Hilberseimer zurück. Das ist eines der Ergebnisse eines Forschungsprojekts, über dessen Zwischenstand die beteiligten Wissenschaftler heute (19. April) in Dessau informierten. Über Hilberseimer führt eine direkte Verbindung der Dessauer Bauten zum legendären Lafayette Park in Detroit. Der Kasseler Architektur-Professor Philipp Oswalt, Leiter des Projekts, schlägt vor, die Laubenganghäuser um einen Prototypen der von Hilberseimer vor 90 Jahren geplanten, aber unverwirklicht gebliebenen Flachbauten zu ergänzen.

Bild: Uni Kassel
Fotocollage zum Vorschlag eines Nachbaus des wachsenden Hauses von Ludwig Hilberseimer in Dessau Törten, Grundstück Mittelbreite 12

Oswalt, Professor an der Universität Kassel und ehemals Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, informierte mit Projektpartnern der Universitäten Weimar und Halle, der HBK Dresden sowie der Wohnungsgenossenschaft Dessau eG als Eigentümerin der Wohnungen über bisherige Erkenntnisse des Forschungsprojekts zu Geschichte und Urzustand der Laubenganghäuser in Dessau-Törten. Neben der Entstehungsgeschichte gibt es auch zum Originalzustand der Wohnungen neue Erkenntnisse: So war das Innere der Wohnungen offenbar deutlich schlichter gestaltet als bislang angenommen. Archäologische Grabungen lieferten zudem Befunde über die ursprüngliche Gestaltung der Außenanlagen.

Unter anderem anhand von Diplomzeugnissen konnten Forscher der Universität Kassel nachweisen, dass die Gesamtplanung auf den Bauhaus-Lehrer Ludwig Hilberseimer (1885 – 1967) zurückgeht. Sie sah zu drei Vierteln Wohnungen in einer verdichteten, eingeschossigen Flachbauweise vor. Während diese Pläne in Dessau weitgehend unverwirklicht blieben, realisierte Hilberseimer den Protoypen eines Flachbaus kurze Zeit später in Berlin. Ende der 50er Jahre setzte er seine Vorstellungen dann gemeinsam mit Mies van der Rohe im wegweisenden Projekt Lafayette Park in Detroit/USA um. Die Forschungsgruppe schlägt nun vor, den Berliner Prototypen neben einem der Laubenganghäuser zu realisieren.

Die bislang kaum erforschten Laubenganghäuser in Dessau-Törten sind wichtigstes und neben dem zerstörten Haus Nolden einziges realisiertes Bauvorhaben der Bauabteilung des historischen Bauhauses. In ihnen manifestiert sich das Konzept des Bauhauses, forschende Lehre mit Praxis zu verbinden, und im Unterricht praktische Gestaltungsaufgaben zu bearbeiten und umzusetzen. Zugleich sind die Laubenganghäuser ein wichtiger Beitrag zur damaligen Debatte über die Wohnung für das Existenzminimum und zur städtebaulichen Debatte um moderne Bebauungsform. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1930 realisiert, stehen sie für den Beginn einer neuen Phase des modernen Bauens: Aus einer bewussten Ablehnung der sich inzwischen verfestigten formalen und stilistischen Konventionen des Bauens suchten der damalige Bauhaus-Direktor Hannes Meyer und die beteiligten Lehrer und Studierenden eine konsequente Orientierung an Wirtschaftlichkeit und Gebrauch, was u.a. zu Verwendung lokaler Baustoffe (Ziegel), neuer Techniken (etwa zentrale Wohnungsheizung, Müllschlucker) und modernen, gemeinschaftlichen Wohnungstypologien führte.

Im Juli 2017 wurden die Laubenganghäuser in Dessau-Törten gemeinsam mit der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau in die UNESCO-Welterbestätte des Bauhauses aufgenommen.

Das dreijährige Forschungsprojekt „Die Laubenganghäuser in Dessau–Törten. Rekonstruktion und Analyse der Planungs-, Bau- und Nutzungsgeschichte des Projektes des Bauhauses Dessau unter der Leitung von Hannes Meyer“ wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Land Sachsen-Anhalt gefördert und von der Wohnungsgenossenschaft Dessau eG als Eigentümerin in vielfältiger Weise tatkräftig unterstützt. Unter Leitung der Universität Kassel sind hieran die Bauhaus-Universität Weimar (Aufmaß), die Martin-Luther-Universität Halle (Archäologische Untersuchungen) und die Hochschule für Bildende Künste Dresden (restauratorische Untersuchungen) beteiligt. 

 

 

Nähere Informationen zu den Teilprojekten und Ansprechpartner:

Archäologische Untersuchungen

Über die Außenanlagen der Laubenganghäuser waren bislang kaum Informationen zur frühen Strukturierung und Nutzung vorhanden. Weder liegen bauzeitliche Pläne vor, noch liefern die verfügbaren Quellen – private Fotografien, Zeitzeugeninterviews, historische Rechnungen und Luftbilder  –  befriedigende Hinweise auf die (frühe) Gestaltung der Außenanlagen. Daher erfolgten im April 2018 archäologische Grabungen in den Außenanlagen des Laubenganghauses Peterholzstrasse 48. Dabei werden die im Boden vermuteten Überreste der historischen Grundstücksumzäunung, eines Kinderspielplatzes, eines Wäscheplatzes und einer Wasserzapfstelle erfasst sowie der Parzellierung und individuellen Nutzung des Hintergartens durch die Mieter untersucht.

In den ersten beiden Wochen gelang es bereits, zahlreiche Hinweise auf die Struktur der Anlagen zu erhalten. So konnten unter anderem die Relikte eines Radioantennenmastes für den Langwellenempfang und die Wasserzapfstelle in situ dokumentiert werden. Im Abgleich mit der historischen Dokumentation lassen sich diese Befunde als bauzeitlich ansprechen und stellen damit ein Beispiel neuzeitlicher Archäologie par excellence dar. Das reichhaltig erfasste Fundmaterial illustriert darüber hinaus die knapp 90-jährige Nutzungs-  und Gestaltungsgeschichte der Anlagen durch verschiedene Akteure vor dem Hintergrund eines sich mehrfach verändernden Zeitgeistes.

Es ist angedacht, im Rahmen von zukünftigen Modernisierungsmaßnahmen weitere archäologische Untersuchungen im Bereich zwischen Haus und Straße im Jahr 2019 durchzuführen.

 

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas

Seminar für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Prof. Dr. Tobias Gärtner

 

Bearbeitungszeitraum: Januar – September 2018


Kontakt:

Felix Rösch (Projektleitung)

E-Mail: felix.roesch[at]praehist.uni-halle[dot]de

Tel.: 0177-5571472

 

 

Restauratorische Untersuchungen

Ziel der Arbeit ist es, die bauzeitlichen Oberflächen aller Bau- und Einbauteile an den fünf Laubenganghäusern restauratorisch zu erfassen. Vor Ort wird durch die Diplomandin, die Farbe, die Textur, die Struktur und die Faktur (=Werkspur/ Hinweise auf die Art der handwerklichen Ausführung) für jede Oberfläche aufgenommen.

Die Arbeit am Objekt erfolgt unter Zuhilfenahme von Skalpell, Lupenbrille, Tageslichtlampen, NCS-Farbfächer und UV-Strahlung. Die Ergebnisse werden mit den Primärquellen aus dem Archiv (hist. Fotos, bauzeitliche Rechnungen/Kostenangebote) abgeglichen, fotografisch festgehalten und am PC verarbeitet. Anhand entnommener Proben wird im Anschluss im Labor auch für einen großen Teil der Anstrichmaterialien und auch für die am Bauwerk verwendeten Mörtel die Zusammensetzung der Materialien ermittelt, um zukünftig die "Rezeptur" für geeignete Reparaturmaterialien zu kennen, um eine digitale Visualisierung des bauzeitlichen Erscheinungsbildes vornehmen zu können und auch um (in der Museumswohnung) die Rekonstruktion der historischen Anstriche -nicht nur in Bezug auf den Farbton- sondern auch in Bezug auf das passende Material und die passende Handwerkstechnik zu zeigen.

Die Ergebnisse der Untersuchung des Bestands in der Museumswohnung weichen von dem ab, was seit den 1990er Jahren für die Innenräume als bauzeitliche Fassung präsentiert wurde. Die bauzeitliche Gestaltung ist aller Wahrscheinlichkeit nach schlichter ausgefallen. Finalen Ergebnisse werden im September 2018 vorliegen.

Die Ergebnisse sollen unter anderem bei der von der Stiftung Bauhaus Dessau geplanten Neugestaltung der Musterwohnung in der Peterholzstraße 40 (geplante Umsetzung bis Ende 2018) genutzt werden.

 

 

Hochschule für Bildende Künste Dresden

Fachklasse Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung

von Wandmalerei und Architekturfarbigkeit, Prof. Dr. Phil. Dott. Thomas Danzl;

Bearbeitungszeitraum Ende Oktober 2017 bis Anfang Juli 2018

 

Kontakt:

Marthe Meyer, Diplomantin (Abschlussarbeit)

E-Mail: marthe90[at]web[dot]de

 

Aufmaß:

Vom 12.-23. März 2018 haben elf Studierende der Bauhaus-Universität Weimar unter Anleitung eines Tutors und zweier Projektleiter das Laubenganghaus Peterholzstraße 48 inklusive dazugehörigem Waschhaus vermessen. Dabei sind sie auf großes Entgegenkommen der Mieter gestoßen, ohne deren Einwilligung sie nicht in der Lage gewesen wären, das gesamte Haus zu betrachten. Um die Bewohner so wenig wie möglich zu belasten, haben sie sich entschieden, in den Wohnungen mit einem Laserscanner zu arbeiten, wodurch die Arbeit in den Wohnungen zügiger abgeschlossen werden konnte. Alle anderen Bereiche, wie Fassaden, Treppenhaus, Lageplan etc. wurden mit dem Tachymeter vermessen. Photogrammetrisch entzerrte Fotos werden zudem die Ansichtszeichnungen ergänzen. Insbesondere bauzeitliche Elemente wurden detaillierter in einem größeren Maßstab gezeichnet. So beispielsweise. das Stahlfenster im Waschhaus. Einzelne bauzeitliche Bauelemente der Laubenganghäuser werden jedoch im Bauteilarchiv der Stiftung Bauhaus archiviert, wo die Studierenden elf Bauteile (Fenster, Türen, Geländer, Schrank u.a.) detailliert im Handaufmaß zeichnen konnten.

Die Auswertung der Messdaten ist abgeschlossen, nun erfolgt die Reinzeichnung. Die Pläne stehen dann sowohl für die Forschung, für die Denkmalpflege wie den Eigentümer für zukünftige Maßnahmen am Gebäude zu Verfügung.

Anhand des Aufmaßes und weiteren Untersuchungen am Gebäude, diversen Archivalien sowie Bewohner-Interviews wird anschließend die Universität Kassel den Originalzustand der Häuser ermitteln und zeichnerisch 2- und 3-dimensional darstellen.

 

Bauhaus-Universität Weimar

Fakultät Architektur, Professur Denkmalpflege und Baugeschichte, Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier

Bearbeitungszeitraum: Januar bis Mai 2018

 

Kontakt: Marten Becker und Iris Engelmann (Projektleitung)

mobil: 0176 45 66 91 55

e-mail: marten.becker[at]uni-weimar[dot]de

 

Projektleitung und Forschung Baugeschichte

Ein 5 köpfiges Team aus Hochschullehrer, zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern und je einer wissenschaftlichen und studentischen Hilfskraft erforscht die Planungs-, Bau- und Nutzungsgeschichte. U.a. werden hier Einflüsse, Autoren und andere Beteiligte identifiziert wie auch der Originalzustand der Bauten und Struktur und Aufbau der Bauhauslehre unter Hannes Meyer ermittelt.

Quellenmaterial aus über 20 Archiven in Deutschland, Schweiz, Dänemark und USA wurde beschafft und dessen Auswertung begonnen. Vier Bewohner der Laubenganghäuser, von denen einige bereits die Kindheit dort verbrachten haben, wurden interviewt, Raumbücher und Fotodokumentationen von drei der fünf Laubenganghäuser erstellt. Im März wurde ein dreitägiges internationales Symposion zur Pädagogik von Hannes Meyer durchgeführt, dessen Ergebnisse bis Ende des Jahres in der Reihe Bauwelt-Fundamente veröffentlicht werden.

 

Fokus Innovation Mischbebauung:

Die Realisierung der 5 Laubenganghäuser 1929/1930 erfolgte im Rahmen einer Gesamtplanung für eine Mischbebauung, die zu ¾ Wohnungen in einer verdichteten, eingeschossigen Flachbauweise vorsah. Die Forschungen der Universität Kassel weisen u.a. anhand von Diplomzeugnissen nach, dass diese Konzeption auf den Bauhauslehrer Ludwig Hilberseimer zurückgeht, der diese ab Ende 1928 ausgehend von einer Idee sozialer Durchmischung und Wahlmöglichkeit von Wohnweisen schrittweise am Bauhaus entwickelt hatte.  Einen Prototypen der Flachbauweise, welche in Dessau-Törten unrealisiert blieb, konnte Hilberseimer zwei Jahre später im Rahmen der legendären Ausstellung „Das wachsende Haus“ in Berlin verwirklichen. Nach dem Krieg versuchte das Kollektiv um Hans Scharoun Hilberseimers Erfindung der Mischbebauung in Berlin-Friedrichshain zu realisieren, was aber auch nur Fragment blieb. Doch Ende der 1950er Jahre konnte Hilberseimer schließlich diese Idee im Rahmen des legendären Projektes Lafayette Park Detroit realisieren, deren Vorläufer bislang wenig beachtet in Dessau-Törten steht.

 

Design/ Build

Die Forschungsgruppe schlägt vor, direkt neben einem der Laubenganghäuser auf dem Grundstück Mittelbreite 12, welches sich im Besitz der Stadt Dessau-Roßlau befindet, den Prototypen des Wachsenden Hauses von Hilberseimer erneut zu realisieren, um zum einen die Idee der Gesamtplanung anschaulich zu machen und auf die hier begonnen, wichtige Traditionslinie in der Geschichte der Moderne zu verweisen. Die Konzeption der Baulehre Hannes Meyer aufgreifend, soll das Projekt mit Studierenden als ein Design/ Build Projekt realisiert werden. Der Bau sollte als Ausstellungsbau dienen und kann mit einer kleinen Ausstellung zum Thema bestückt werden.

 

Universität Kassel
Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen, Prof. Philipp Oswalt

Bearbeitungszeit: November 2016 – Oktober 2019

 

Kontakt

Philipp Oswalt

E-Mail: oswalt[at]asl.uni-kassel[dot]de

Tel: 0151-19600092

 

 

Eigentümer

Das Forschungsprojekt ist auf Anregung des Eigentümers entstanden, der die Arbeit seit Anfang an ermöglicht und vielfältig unterstützt (Kontakt zu Mietern, Zugang zu Untersuchung der Bauten, Zugang zu Unterlagen, Bereitstellung von Räumen, u.v.m.)

 

Die Wohnungsgenossenschaft Dessau, als Eigentümer der fünf Laubenganghäuser, hat das Forschungsvorhaben von Beginn an unterstützt und gefördert. Dieses Forschungsvorhaben sehen wir als Grundlage für die zukünftig geplanten Modernisierungsvorhaben.

 

Kontakt

Wohnungsgenossenschaft Dessau eG

Vorstandsvorsitzender Herr Nicky Meißner

Wolfgangstraße 30

06844 Dessau-Roßlau

Tel.:   0340 / 260 22 100

Tel.:   0173 / 386 62 731

E-Mail:  n.meissner[at]wg-dessau[dot]de