Geschichtserkennungs-Software
Im Videospiel Assassin’s Creed Odyssey kämpfen die Helden Kassandra und Alexios in aufwändig generierten antiken Landschaften, klettern auf die Säulen des Parthenon und treffen auf Persönlichkeiten wie König Leonidas und Perikles. Die Spielerinnen und Spieler tauchen tief in die Welt des antiken Griechenlands ein. Der Spaß steht im Vordergrund, aber der Spieler kann auch jede Menge über das Leben in jener Zeit lernen.
Der Computerspiele-Verlag Ubisoft arbeitet eng mit Historikern zusammen, um die Spiele der Assassin’s Creed Reihe historisch möglichst genau abzubilden. Doch etwas künstlerische Freiheit nehmen sich die Entwickler. Das erkannten auch die Studierenden im Seminar „Assassin’s Creed Odyssey und das klassische Griechenland“ im vergangenen Wintersemester. Sie haben das Computerspiel und die dazugehörige Discovery Tour (den Entdeckermodus) historisch analysiert und die Ergebnisse in „Let’s Analyse“-Videos zusammengefasst.
Hatten die Spartiaten diesen Kick drauf?
Unsere Rezeption ist geprägt von Sehgewohnheiten aus der Popkultur. Filme wie 300 oder Gladiator schaffen Geschichtsbilder. Sie werden immer wieder aufgegriffen und weiterverarbeitet. „Die Studierenden bringen diese Erfahrungen mit. Dieser Bezug zu ihrer Lebenswelt öffnet aber auch die Tür in die wissenschaftliche Welt“, sagt Dr. Kai Ruffing, Professor für Alte Geschichte. Dementsprechend hoch war die Motivation der Studierenden. Oft wurde über die Seminarzeit hinaus diskutiert.
Ein gutes Beispiel ist der Tritt der Spartiaten. Im Film 300 kickt Leonidas, König von Sparta, den Boten des Königs Xerxes in einen Brunnen. Ob die Spartiaten wirklich so kämpften? Fraglich. Dennoch können Spieler von Assassin’s Creed ihren Helden mit dieser Fähigkeit ausstatten. „Dieser Tritt ist ikonisch geworden. Er ist ein transmediales Beispiel dafür, wie starke Szenen aus einem Film in die Medienkultur übergehen“, erklärt Dr. Kai Matuszkiewicz vom Servicecenter Lehre (SCL), der das Seminar medienwissenschaftlich begleitet hat.
„Besonders gelungen ist der Fokus auf die Landwirtschaft und die farbige Darstellung von Statuen“, sagt Ruffing. So ist der Parthenon im Spiel reich bemalt und verziert. „Die Darstellung und das Handling der Trieren, rudergetriebenen Kriegsschiffen, entsprechen dagegen nicht den gängigen Rekonstruktionen, haben die Studierenden herausgefunden.“
Sehgewohnheit schlägt historische Genauigkeit
Bei aller Begeisterung für das Spiel und der Faszination für die Darstellung haben die Studierenden am Ende festgestellt, dass die Spielmechanismen wichtiger sind als die real überlieferte Geschichte. Was virtuell dargestellt wird, könne nur Symbolbild sein, resümieren die Studierenden in ihrem Video-Essay über die Silberminen in Laureion. Manche dargestellten Objekte, wie die Trieren oder Webstühle, hätten in der Realität nicht funktioniert. Sie bedienen aber Sehgewohnheiten und manchmal nützen sie auch schlicht dem Format des Action-Adventure-Games.
Die Produktion der Analyse-Videos stellte die Studierenden vor eine Herausforderung. Der Konflikt „Showing vs. Telling“ war für sie eine wichtige Erfahrung. Sie mussten herausfiltern: Was muss ich erklären? Was kann ich zeigen? „Mich hat erstaunt, wie komplex Geschichtsbewusstsein und -kultur sind und wie sehr ich diese Dinge reduzieren muss, um sie zu vermitteln“, sagt Lehramtsstudent Lion Arendt. Nach dem Erstellen des Skriptes und dem Schneiden der Szenen ging es für die Studierenden ans Einsprechen. Dr. Christiane Borchard, Leiterin des SCL, die das Projekt anregte und stets unterstützte, sorgte dafür, dass es den Studierenden nicht an Hard- und Software mangelte. Heraus kamen acht Videos zu historischen Persönlichkeiten bis hin zum Schiffbau.
Ein Spiel als Unterrichtsmaterial?
Ruffing, Matuszkiewicz und die Studierenden ziehen das Fazit, dass die Discovery Tour und das Videospiel im Unterricht an Schulen oder in der Lehre an Universitäten integriert werden können – allerdings immer mit einem kritischen Blick. „Für die Produktion künftiger Antik-Werke hat Ubisoft die Latte aber schon sehr hoch gelegt“, ist sich Ruffing sicher.
Text: Christine Graß