Energieexperte warnt: Der Abbau der Kohlekraftwerke gefährdet die Energiewende

Von Prof. Dr. Clemens Hoffmann
Ein wesentlicher Aspekt des Zielbildes ist, dass Kraftwerke immer ein fundamentaler Bestandteil eines Erneuerbaren Energiesystems sein werden. Eine verbreitete Fehlannahme ist, dass im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien die Kraftwerke irgendwann überflüssig werden. Diese Fehlannahme führt dazu, dass im politischen Diskurs eine Polarisierung zwischen den Befürwortern der Erneuerbaren Energien und den Bewahrern des bisherigen Energiesystems aufgebaut wird. Diese Polarisierung behindert aber eine sachgemäße Transformation.
Um das Ziel zu erreichen, muss sich die Kraftwerksstruktur in folgenden Schritten entwickeln: im ersten Schritt müssen die bestehenden Kraftwerke in ihrer Betriebsweise flexibilisiert werden. Den Begriff der „Grundlastkraftwerke“ wird es im zukünftigen System nicht mehr geben. Weder sind die Erneuerbaren Energien „grundlastfähig“, noch fahren die Kraftwerke in Grundlast. Es ist ein neuer Begriff „Ausgleichskraftwerke“ zu etablieren. Die Strombedarfsdeckung erfolgt im zukünftigen System im permanenten dynamischen Ausgleich der Leistungen von Erneuerbaren und Kraftwerken. Im zweiten Schritt ist die Leistung der Kraftwerke über die heutige Leistung hinaus zu steigern. Denn Kraftfahrzeuge und Wärmeerzeugung werden zunehmend elektrifiziert. Die Vergrößerung des Stromsystems um diese beiden Energiesektoren führt zu erheblich größeren Flexibilisierungspotenzialen, die für das Zusammenspiel mit den Leistungsschwankungen der Erneuerbaren von großer Bedeutung sind. Bezogen auf Deutschland wird die derzeit anliegende Kraftwerksleistung von derzeit etwa 70 GW auf etwa 110 GW zu steigern sein. Im dritten Schritt kann ein Wechsel des Brennstoffs der Kraftwerke von Kohle zu Methan (Erdgas) erfolgen. Im vierten und letzten Schritt ist der Wechsel von Kohle und Gas zu elektrolytisch hergestelltem Wasserstoff zu vollziehen. Aufgrund aber des niedrigen Wirkungsgrades der Wasserstoff-Produktion ist dieser Brennstoffwechsel wirtschaftlich erst dann sinnvoll, wenn der energetische Anteil der Kraftwerke in den Bereich von etwa 15% abgesenkt wurde. Es ist deshalb ebenfalls eine Fehlannahme, dass elektrolytisch hergestellter Wasserstoff der wesentliche Bestandteil des Zielszenarios sein kann. Realistisch ist davon auszugehen, dass eine vollständige Ersetzung dieses Restbedarfes der Ausgleichskraftwerke durch Wasserstoff in etwa 30 Jahren erreicht werden kann. Im Kontext der Transformation der Kraftwerke ist Wasserstoff also nicht das vordringliche Thema.
Der Zeitplan für diese Umstrukturierung der Kraftwerke wird also durch den Ausbau der Erneuerbaren vorgegeben und nicht umgekehrt. Die Prädikate der Energiewende sind „Ausbau“ und „Umbau“, aber nicht „Abbau“. Die Energiewende ist eine „Investitions-Wende“ mit einem hoch attraktiven Risiko-Rendite-Profil. Die bisherige Kraftwerksstruktur stellt einen hohen volkswirtschaftlichen Wert dar, der gehegt und gepflegt werden muss. Gebäudehülle, elektrischer Generator und Steuerungszentrale sind Wertgegenstände, die erhalten werden müssen. Die Ausgleichskraftwerke der Zukunft entwickeln sich durch Weiterentwicklung bei der Brenner- und Turbinentechnik evolutionär aus den bisherigen Kraftwerken. Es wäre wirtschaftlich also fatal, eine funktionierende Kraftwerksinfrastruktur jetzt zu zerstören, nur um sie in 30 Jahren unter großem Kostenaufwand wiederaufzubauen.
Über Clemens Hoffmann
Clemens Hoffmann leitet das Fachgebiet Integrierte Energiesysteme an der Universität Kassel. Seine Forschungsinteressen umfassen Geschäftsmodelle der Energiewende, die Digitalisierung der Energiewende und Smart Grids. Bis 2021 war er Leiter des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (Fraunhofer IEE). Zuvor bekleidete er leitende Positionen bei Siemens im Bereich Erneuerbare Energien und Smart Grids.
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